Gastbeitrag von Marius Tiemann: Kanye West – ye (Besprechung)


 
Am heutigen Tage, dem 06. Juni 2018, hat sich mein Kumpel Marius an die letzten Züge seiner Revue zum neuesten Kanye-Album gemacht, auf seine Nachfrage hin präsentieren wir diese nun hier. Viel Spaß!


Na endlich. 


Im Trubel der letzten Monate rund um Kanye Wests kontroversen Äußerungen auf Twitter und bei TMZ hatte man fast vergessen, dass da ja noch ein Album auf dem Weg war, nun ist es endlich hier. Treffend mit „ye“ betitelt, behandelt es in knackigen 23 Minuten Kanyes psychische Probleme, auch im Zusammenhang verschreibungspflichtiger Medikamente, seiner scheinbar untrennbaren Beziehung zu Gattin Kim und seinen Kindern und wie diese im Kreuzfeuer bereits angesprochener Kontroversen noch stärker geworden zu sein scheint, generell um Kanye eben. 

Dabei war es lange still um ihn. Im Herbst 2016, im Rahmen seiner „Saint Pablo“-Tour, droppte er in der Zwischenzeit lieber krude politische Parolen als neue Tracks, bis er sich beim Tour-Stop in Sacramento für eine Viertelstunde gänzlich von der Musik verabschiedete und eine Hasstirade sondergleichen startete. Hierbei befasste er sich weniger sachlich mit Themen wie dem damals noch nicht entschiedenen Wahlkampf in den USA mit mahnenden Worten an Hillary Clinton („Its a new world, Hillary Clinton“) und bekundete, er hätte Angst vor „Killern“, die Kollege Jay-Z auf ihn angesetzt hätte. Er verließ anschließend die Bühne und Nachrichten berichteten, er wäre aufgrund mentaler Probleme in eine Psychiatrie eingeliefert worden. Nach einer langen Zeit ohne Schlagzeilen um den Rapper aus Chicago kamen jedoch mehr und mehr Informationen, er hätte sich zur Rehabilitierung seiner Psyche und Produktion seines neuen Albums in feinster „Bon Iver“-Manier in den Bergen von Wyoming, abgeschottet von der Außenwelt, einquartiert. 

Der Beginn dieses Albumszyklus lag dann im April 2018. Nach folgender Öffentlichkeitsabstinenz hat West seinen Twitter Account wiederbelebt und schmettert eine philosophische Weisheit nach der Anderen raus. Es lag bereits die Ankündigung im Raum, er würde ein Philosophiebuch erstellen, wobei sich rausstellte dass er hiermit seinen Twitter Account meint, den er nach und nach mit Phrasen wie „fear often causes people to be manipulative“, oder „don't trade your authenticity for approval“ anreicherte. Auch das Motiv, man solle auch seine größten Feinde lieben und generell nichts als Liebe praktizieren kam hier öfter mal durch. Und dann kam endlich die Ankündigung, es würden Ende Mai/Juni in fünf aufeinanderfolgenden Wochen fünf Alben (Pusha T, Kanye, Kanye+Kid Cudi, Nas und Teyana Taylor) erscheinen, welche er in seinem Exil in Wyoming produziert habe. Mehr und mehr jedoch mischten sich Beiträge unter diese, welche ihm eine gewisse Nähe zu Donald Trump und seinen Ideen unterstellen ließen.  Zudem gab er ein Interview bei TMZ , in welchem er mit Aussagen wie „slavery was a choice“ eine brennende Diskussion mit einem Redaktionsmitglied entfachte, die jedoch damit endete, dass Ye gefragt hat ihn umarmen zu dürfen. Ich hatte zwischenzeitlich die Gewohnheit entwickelt, morgens meinen Facebook-Feed nach Schlagzeilen zu durchsuchen, was Kanye heute Nacht schon wieder angestellt hat. Alles ziemlich strange, kein Wunder also, dass man in dem Gewusel die Musik schonmal vergessen kann.

Diese ist, wie auch nicht anders zu erwarten, fein produziert und bietet für Kanye neue Soundkulissen, ohne dabei seine Handschrift zu verlieren. Wie schon im vorweg veröffentlichten Song „Lift Yourself“ zu erkennen, welcher als seltsamer Vorab-Track, mit dem er sich über die bereits bestehenden Vorurteile zu seinem neuen Album von Bloggern und Kritikern auf der ganzen Welt lustig machen will indem der angepriesene Verse auf dem Song nur aus Worten wie „Whoopity Scoop“ besteht, wählt er hier musikalisch den Weg der, für ihn üblich, prägnanten gechoppten Soulsamples, vermischt mit rohen, unbearbeitet anmutenden Drum Samples. Der Song „All Mine“ ist hier ein gutes Beispiel für diese rohe Klangästhetik. Der Soulanteil kommt hier eher durch Songs wie „Wouldn’t Leave“ und besonders „Ghost Town“, auf welchem der Chicagoer in unüblicher Manier ausschließlich singt und seine Stimme nicht durch Effekte verzerrt. Man bekommt hier daher einen sehr nahbaren Kanye zu hören. Jedoch ist „ye“ nicht das maximalistische, politische Feuerwerk, was sich einige erhofft hatten. 

Einen wirklichen Hit gibt es auf dem Album nicht und auch keinen wirklich aggressiven Track, was das Werk ruhiger und besonnener erscheinen lässt. Am Vorgänger „The Life of Pablo“ gefielen mir vor allem die Tracks, auf denen er auf harte Beats die Sau rausgelassen hat (Beispiel:„Freestyle 4“). Sowas, wie auch Kanyes oft gepriesenen Sinn dafür, große, extrovertierte, hochglänzende Instrumentals wie noch auf „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“ zu produzieren, wird auf diesem Album vermisst. Natürlich aber dient dies dem Konzept des Albums. 

Wie schon erwähnt finde ich den Titel „Ye“ sehr treffend, da er sich wie ein Sequel zum Hardcore HipHop-Versuch „Yeezus“ liest und sich auch so anfühlt. Auf Yeezus stellte er sich mit Gott gleich (der Track „I Am A God“ ist auf Spotify der einzige Track des Albums der ein Feature gelistet hat, und zwar „God“), ersetzt stilvolle Produktion hochglänzender Beats durch rohe aggressive Synthesizer und weltfremdes Selbstloben, generell eine sehr dreckige Ästhetik. „ye“, im Kontrast dazu, lässt den Jesus-Vergleich weg und ersetzt das große „Y“ durch ein kleines, es klingt wie sein normaler Spitzname aus seinem privaten Umfeld. So wirkt es zumeist auch lyrisch, als wäre man eine Ecke vertrauter mit ihm, alles wolle er keine große Rolle spielen wollen. Auch der Umstand, dass das Album mit 7 Songs nur eine Laufzeit von 23 Minuten hat, besonders in Bezug auf die Veröffentlichung nach dem langen und verspielten „The Life of Pablo“ oder dem gigantischen „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“, auf welchen jeder Song so lange wie das aktuelle Album zu laufen scheint spricht dafür, dass Kanye versucht einen unwichtigeren, kleineren Eindruck zu machen, als wären seine Persönlichkeit und sein Ego von seiner thematisierten Bipolarität auf die halbe Größe gestutzt worden.

Schon auf dem ersten Song „I Thought About Killing You“ unterbreitet er uns, psychische Probleme zu haben, welche sich sogar in Selbstmordgedanken geäußert haben sollen; Auf dem Nachfolgesong „Yikes“ sagt er, dass er seine psychischen Probleme wie ein Cape trage und somit er ein Superheld wäre. Auch seine Ehe mit Kim Kardashian findet in dieser Reihe persönlicher Preisgebungen seinen Platz, indem er auf „Wouldn’t Leave“ eröffnet, dass die Ehe der beiden Superstars beinahe auf der Kippe stand aufgrund der steten Kontroversen um Kanyes Twitter-Comeback in diesem Frühling. Der Titel des Songs ist gewissermaßen das Ergebnis davon, dass er ihr vorschlu, ihn zu verlassen, da sie aufgrund der Kontroversen um ihn die Fassung verlor.

So schön das in der Theorie klingt, so stellt sich auch die Frage, ob das alles überhaupt sein muss. 

Dafür, dass das nun Kanyes besonderes „Mental health“-Album sein soll trifft es mich nicht genug, um mich sonderlich emotional zu involvieren. Ist Kanye an einer Stelle mal besonders ernst und erklärt einem in einer pathetischen „Spoken Word“-Passage seine mentalen Probleme, so blitzt der alte, unreflektierte Kanye immer mal wieder durch, was sich wohl am besten an der Zeile „I love your titties cause they prove I can focus on two things at once“ auf dem Song „All Mine“ äußert. Solche betont anstößigen, plumpen Zeilen sind für ihn bei Weitem nichts Neues, nur stören sie den Eindruck den das Album augenscheinlich auslösen will. Solch kleinere Unstimmigkeiten lassen einem in Kanye keine Persona mit sonderlich hoher dramatischer Fallhöhe sehen. Auch die Prämisse vom erwähnten „Wouldn‘t Leave“ leuchtet mir nicht ganz ein. Aufgrund bereits angesprochener Kontroversen rund um den Rapper entfachte jene Ehekriese, die letztlich überwunden wurde. Toll, fühlt sich für mich eher an wie ein Beitrag von RTL Exclusiv.

Es scheint mir, als hätte Kanye einen Automatismus entwickelt, auf jedem Album ein neuer Kanye zu sein. Natürlich gehören persönliche Erfahrungen und Krisen seither zum kreativen Schaffen von Musikern, aber mir kommt es stellenweise nur so vor als wolle er seine - ob nun vorhanden oder nicht - psychische Krankheit instrumentalisieren, um über irgendetwas zu schreiben, über das er bis dato nicht geschrieben hat. Er benutzt solche privaten Umstände eher so wie Rapper einen neuen soundästhetischen Trend benutzen, sprich eher als Stilelement. Alleine das Albumcover, auf welchem die Berge von Wyoming zu sehen sind mitsamt einem Schriftzug, der „I hate being bipolar-Its awesome“ besagt, was so kitschig, unreflektiert und dumm ist dass ich kaum drüber nachdenken will. Dass Kanye hierzu noch den passenden Albumcovercreator veröffentlicht hat mit welchem man das Cover-Art mit seinen eigenen Texten versehen kann schreit für mich danach, nicht ernst genommen zu werden. Auch der Buzz im Vorfeld hat mich mehr genervt als mich irgendwie auf das Album gespannt zu machen, da mir hier dieses ganze Sympathisieren mit momentan ohnehin kontroversen republikanischen Ansichten und Politikern und das Kundgeben von scheinbar absichtlich doppeldeutig formulierten Parolen sowieso nur als ein plattes „Sich-wieder-in-den-Fokus-Bringen“ vorkam. 

Am Ende kann ich es mir aber doch nicht erklären wieso das Album seit seinem Release nicht nur bei mir hoch und runter läuft. Sind es tatsächlich nur die wahnsinnig eingängigen Instrumentals und einzigartigen Melodien? Ist es vielleicht sogar gerade das Fehlen großer Tiefe im Umgang mit Themen wie mentaler Gesundheit, um ein breiteres Publikum dafür zu interessieren? Oder ist es vielleicht nur ein bereits gewohntes Interesse, sich an Kanye West abzuarbeiten? Man weiß es nicht.


„ye“ erschien am 01. Juni 2018 über G.O.O.D. Music und Def Jam Recordings und ist mittlerweile über alle gängigen Vertriebswege erhältlich und streambar.

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